Verbraucher achten heute bei vielen Produkten auf die Ökobilanz und die Nachhaltigkeit. Bei Smartphones gibt es vergleichsweise wenig verlässliche Daten. Wir haben Karsten Schischke, Gruppenleiter in der Abteilung Environmental and Reliability Engineering beim Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration, gefragt wie eine wissenschaftliche Bewertung des Lebenszyklus von Smartphones aussieht und welche Konsequenzen das für Hersteller und Verbraucher hat.
Wie sieht der sogenannte ökologische Rucksack moderner Smartphones aus?
Die Ökobilanz von Smartphones, aber auch von anderen mobilen Endgeräten, wird durch deren Herstellung dominiert. Das zeigen alle aktuellen Ökobilanzen von Apple und anderen Herstellern. Die Vielfalt an Materialien und Elementen, die sich in diesen Geräten wiederfinden, tragen bei einigen Rohstoffen erheblich zum globalen Bedarf bei. Wenn man aber auf die Klimawirkung schaut, sind es viel mehr die eigentlichen Fertigungsprozesse als die Rohstoffe. Insbesondere die Halbleiterfertigung sticht hier heraus. Die umfangreichen Funktionen moderner Geräte lassen sich nur mit aufwändigen, energieintensiven Prozessen realisieren.
Welche Teile des Geräts sind besonders problematisch?
Besonders umweltrelevant sind die Halbleiterkomponenten, von denen sich häufig 30 oder 40 oder mehr in einem Smartphone finden. Besonders relevant sind hier der Massenspeicher, der Arbeitsspeicher und der Prozessor. Zuletzt hat sich aber auch gezeigt, dass die zusätzlichen Halbleiterkomponenten für 5G erheblich zum CO2-Fußabdruck der Geräte beitragen. Die Hauptleiterplatte sticht in der Ökobilanz ebenfalls heraus. Einen deutlich geringeren Beitrag zum Gesamtherstellungsaufwand haben z.B. Batterie und Display.
Wie können Hersteller die Ökobilanz von Smartphones verbessern?
Wenn nun die Herstellungsphase die wesentliche Umweltlast verursacht, dann sollte das Smartphone möglichst lange genutzt werden, um diesen ökologischen Invest möglichst intensiv zu nutzen. Schwachstellen des Geräts sind das Display bei einem Sturz oder der Akku über die Zeit – beide tragen aber weniger zur Ökobilanz bei als die Elektronik, die weniger häufig Ursache für Ausfälle ist. Daraus lässt sich ableiten, dass Display und Akku leicht austauschbar sein sollten. Einen solchen Ansatz verfolgen ja beispielsweise Fairphone und Shift, aber unsere Ökobilanz für Fairphone hat auch gezeigt, dass Modularität zunächst zu mehr Umweltlast führt, für Steckverbinder, zusätzliche Modulgehäuse und weitere Komponenten, die eine Reparatur erleichtern. Über eine längere Lebensdauer machen sich diese Aufwände schnell ökologisch bezahlt – dazu muss der Nutzer aber auch willig sein, einfache Reparaturen selber auszuführen.
Besser als reparierbar ist natürlich ein Gerät, das überhaupt nicht kaputtgeht. Eine quasi ewige Lebensdauer ist aber zumindest für Akkus nicht machbar.
Der Hersteller kann und sollte darüber hinaus Einfluss auf die Zulieferkette nehmen: Für energieintensive Herstellungsprozesse kann eine gezielte Umstellung auf erneuerbare Energien die Bilanz maßgeblich positiv beeinflussen.
Eindeutig positiv ist die Entscheidung einiger Hersteller, nicht mehr standardmäßig Netzteile beizulegen. Dabei ist es nicht nur das vermiedene Netzteil, das die Ökobilanz entlastet, es ist auch die insgesamt kleinere und leichtere Verpackung: Aufgrund der Innovationsgeschwindigkeit werden aktuelle Smartphone-Modelle häufig eingeflogen. Die Luftfracht macht sich nicht gut in der Umweltbilanz. Gut, wenn dann nicht auch noch das Netzteil um die Welt fliegt.
Ebenso wichtig ist die Software: Wenn das Betriebssystem möglichst lange auf einem aktuellen Stand gehalten wird, dann gibt es weniger Sicherheitsprobleme aber noch wichtiger: Kompatible Versionen wichtiger Apps sind länger verfügbar. Wenn man mit seinem Gerät nicht mehr auf seine bevorzugten sozialen Netzwerke zugreifen kann, ist das der Tod für das Gerät, nicht für die sozialen Netzwerke.
Was können Nutzer*innen tun? Warum sollte man Mobiltelefone zum Recycling bringen bzw. länger nutzen oder gebrauchte Geräte verwenden?
Sich für ein nachhaltiges Smartphone zu entscheiden, ist schwierig, weil sehr viele Faktoren eine Rolle spielen. Mehrere Umfragen haben gezeigt, dass Verbraucher durchaus ein großes Interesse an nachhaltigen Mobiltelefonen haben – allein es fehlt die Transparenz, die „richtige“ Wahl zu treffen. Hier unterstützen wir derzeit die Europäische Kommission zielführende Anforderungen unter der Ökodesign-Richtlinie zu entwickeln, die dann ab 2023 greifen könnten: Mit ökologischen Minimalstandards sowie Angaben zu ökologischen Leistungsparametern der Geräte. Damit wird es dann absehbar die nötige Transparenz geben.
Eine lange Nutzungsdauer ist in jedem Fall angeraten, um seine eigene Ökobilanz zu verbessern. Ein schonender Umgang mit dem Gerät ist wichtig: Man sollte seine Geschicklichkeit realistisch einschätzen und doch lieber eine Schutzhülle nutzen. Schnellladen nur, wenn man es wirklich braucht, der Akku ist dankbar dafür! Er ist auch dankbar dafür, wenn der Ladezustand eher in einem mittleren Bereich gehalten wird. WiFi und Bluetooth und sonst alles ausschalten, wenn es nicht genutzt wird. Das spart zwar nur minimal Energie verglichen mit anderen Verbräuchen im Haushalt, aber der Akku muss seltener geladen werden. Und mit jedem Ladezyklus rückt das Ende des Geräts unweigerlich näher! Mut zum digitalen Mülleimer: Nicht genutzte Apps und Medien löschen, damit der Speicher nicht zu schnell zu voll läuft.
Auch sollte das Gerät nicht technisch überdimensioniert sein, denn dann werden Funktionen mit erheblicher Umweltlast bereitgestellt, die nicht genutzt werden. Ein viel zu großer Speicher ist dann quasi digitaler Lebensmittelabfall. Schwierig ist es da natürlich, die richtige Balance zu finden: Mit welcher Performance werde ich in 3 oder 4 Jahren noch zufrieden sein?
Weil viele Geräte durchaus deutlich länger halten, als sie genutzt werden, sind Gebrauchtgeräte aus ökologischer Sicht sehr empfehlenswert. Moderate Ansprüche an ein Smartphone lassen sich mit günstigen Gebrauchtgeräten gut und noch für eine längere Zeit erfüllen. Das heißt aber auch umgekehrt: Nicht mehr verwendete Geräte raus aus den Schubladen und einer Zweitnutzung zuführen, egal ob verkaufen oder verschenken. Schauen Sie nach: Im Schnitt hat jede und jeder mehr als ein Smartphone ungenutzt herumliegen! In der Schublade „altert“ das Gerät technisch. Nach zwei, drei Jahren außer Betrieb ist es meistens nicht mehr geeignet für eine weitere Nutzung. Dann bleibt immer noch das Recycling. Auch wichtig, um wenigstens einige der Rohstoffe zurückzugewinnen. Das poliert zwar die Ökobilanz kaum noch auf, aber Recyceln ist immer noch deutlich besser, als dies nicht zu tun.
Wie würde das aus Nachhaltigkeitssicht ideale Smartphone der Zukunft aussehen?
Unkaputtbar. Und ansonsten per Software und Hardware aufrüstbar: Wenn ich mit der Performance nicht mehr zufrieden bin, dann entscheide ich mich für leistungsstärkere Komponenten, statt das ganze Gerät auszutauschen. An diesem Hardware-Ansatz haben sich schon einige versucht – und sind bislang an der Komplexität der Aufgabe gescheitert.
Und dann gilt es, über die Grenzen des Smartphones hinauszudenken: Es ist theoretisch als Computing-Einheit für ein Tablet oder Laptop geeignet und damit würde die Elektronik möglichst intensiv genutzt, statt überall eigene Prozessoren und Speicher einzusetzen. Hier ein kompatibles Produktsystem zu schaffen, ist eine erhebliche Herausforderung.
Veröffentlicht am 14.04.21