Das Zentrum für Krebsregisterdaten im Robert Koch-Institut wertet zusammen mit der Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland die vorhandenen Statistiken regelmäßig aus und veröffentlicht diese unter dem Titel „Krebs in Deutschland“.
Wir haben beim Robert Koch-Institut genauer nachgefragt und uns die Daten von Dr. Klaus Kraywinkel, Fachgebietsleiter vom Zentrum für Krebsregisterdaten, erläutern lassen.
Nach welchen Merkmalen lässt sich die Krebsinzidenz, also die Häufigkeit von Krebs in der Bevölkerung, beschreiben?
Dr. Kraywinkel: In erster Linie als Neuerkrankungsrate (d.h. jährliche Neuerkrankungen pro 100.000 Personen). Beschrieben wird diese Inzidenz je nach Krebsdiagnose, Alter und Geschlecht, daneben lässt sich unter anderem das Stadium der Erkrankung bei Erstdiagnose beschreiben. Um die Folgen des demographischen Wandels bzw. den unterschiedlichen Altersaufbau in verschiedenen Ländern oder Regionen heraus zurechnen, benutzen wir für die Beurteilung zeitlicher Veränderungen, aber auch für Vergleiche zwischen verschiedenen Bevölkerungen bzw. Regionen, die sogenannte altersstandardisierte Rate.
Wie entwickeln sich diese altersstandardisierten Krebsraten?
Dr. Kraywinkel: Das hängt sehr von der jeweiligen Krebsart ab. Wir beobachten nach wie vor Krebsarten mit deutlich sinkender Inzidenz (z.B. Magen- oder Darmkrebs, Lungenkrebs bei Männern), aber auch steigende Raten (Lungenkrebs Frauen, Leberkrebs Männer). Alles in allem halten sich steigende und sinkende Raten in den letzten 15-20 Jahren in etwa die Waage, zuletzt überwogen sogar die rückläufigen Trends. In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts sind die Erkrankungsraten an Krebsdagegen auch nach Altersstandardisierung in Deutschland, aber auch in fast allen anderen Industriestaaten angestiegen. Dies dürfte einerseits mit Lebensstilfaktoren (v.a. Rauchen) zusammenhängen, aber auch damit, dass gerade auch in höherem Alter die Entdeckungsrate auch langsam wachsender Tumoren durch verbesserte Möglichkeiten der Diagnostik zugenommen hat.
Wie werden in Deutschland die Zahlen erfasst und welche Krebserkrankungen werden beobachtet?
Dr. Kraywinkel: Alle bösartigen Tumore und inzwischen auch die Krebsvorstufen werden in Deutschland flächendeckend seit 2009, in den meisten Bundesländern aber schon deutlich länger, in bevölkerungsbezogenen, einheitlichen Krebsregistern erfasst. Für die Kodierung und Klassifizierung von Krebserkrankungen gelten internationale Regeln. Das Zentrum für Krebsregisterdaten führt die Daten aus den Bundesländern jährlich zusammen und ist für die Berechnung und Berichterstattung bundesweiter Ergebnisse zuständig.
Bekommen die Menschen in Deutschland immer häufiger Krebs? Warum ist die altersstandardisierte Normung der Krebsrate so wichtig?
Dr. Kraywinkel: Ein jährlicher Anstieg von derzeit etwa einem Prozent pro Jahr wäre tatsächlich allein schon mit dem demographischen Wandel zu erklären. Hier spielt nicht nur die steigende Lebenserwartung eine Rolle, sondern vor allem auch die Tatsache, dass die geburtenstarken Jahrgänge (etwa 1955-1965) jetzt langsam in das Alter kommen, in dem Krebserkrankungen häufiger werden, denn für fast alle Krebsarten steigt das Erkrankungsrisiko mit dem Alter an.
Wie entwickelt sich die Lebenserwartung bei der Diagnose Krebs?
Dr. Kraywinkel: Die Lebenserwartung oder besser die Überlebensraten von an Krebs Erkrankten hat sich insgesamt über die letzten Jahrzehnte immer weiter erhöht. Wie sich an Ergebnissen der skandinavischen Krebsregister, deren Daten sehr viel weiter zurückreichen als unsere, zeigen lässt, überleben heute mit rund 65 Prozent inzwischen etwa doppelt so viele Betroffene die ersten 5 Jahre nach Ihrer Erkrankung wie vor knapp 50 Jahren. Verbesserungen sind meist in kleinen Schritten, also kontinuierlich über die Jahre zu beobachten. Durchbrüche, also sprunghafte Verbesserungen durch neue Therapieverfahren kommen zwar vor, sind aber selten oder betreffen nur bestimmte Gruppen von Patienten und Patientinnen.
Welche Krebsneuerkrankungen treten am häufigsten auf? Sind Männer und Fragen im gleichen Maße betroffen?
Dr. Kraywinkel: Bei Frauen ist die Reihenfolge: Brustkrebs, Darmkrebs, Lungenkrebs. Bei Männern: Prostatakrebs, Darmkrebs, Lungenkrebs. Männer sind insgesamt etwas häufiger betroffen Bis zum Alter von etwa 55 Jahren ist das Erkrankungsrisiko für Frauen insgesamt höher (da vor allem Gebärmutterhals- und Brustkrebs auch schon im mittleren Erwachsenenalter auftreten), danach kehrt sich das Verhältnis dann um, auch weil vor allem Prostatakrebs eine Erkrankung des höheren Alters ist.
Gibt es Daten, wie sich die Zahlen bei den Hirntumoren in den letzten Jahren verändert haben?
Dr. Kraywinkel: Die Inzidenz bösartiger Hirntumoren hat sich in den letzten 15 bis 20 Jahren – abgesehen vom demographisch bedingten Anstieg – kaum verändert. In Krebsregistern, die auch gutartige Hirntumore erfassen (z.B. in den skandinavischen Ländern), sieht man dagegen langfristig einen deutlichen Anstieg, wahrscheinlich weil immer mehr gutartige Tumoren zufällig im Rahmen der Abklärung anderer Erkrankungen oder nach Unfällen z.B. durch eine Computertomographie gefunden werden. Inzwischen werden daher auch gutartige Hirntumoren in den deutschen Krebsregistern erfasst, zu zeitlichen Trends liegen aber noch keine belastbaren Daten vor.
Mit welchen Maßnahmen bzw. welchem Verhalten lässt sich das Krebsrisiko jeder einzelnen Person senken?
Dr. Kraywinkel: Neben dem Verzicht auf das Rauchen und einem höchstens maßvollem Alkoholkonsum kann ein gesunder Lebensstil mit ausreichender Bewegung, Vermeidung von Übergewicht und ausgewogener Ernährung (u.a. mit geringem Konsum von Wurstwaren und rotem Fleisch) dazu beitragen, das Erkrankungsrisiko für einige Krebsarten deutlich zu senken. Auch der Schutz vor einigen Infektionen, insbesondere die Impfung gegen das Humane Papilloma Virus (HPV) und das Hepatitis-B Virus können das Krebsrisiko senken. Schließlich sollte man sich in den Sommermonaten aber auch schon im Frühjahr vor intensiver Sonneneinstrahlung schützen, dies gilt insbesondere auch schon für Kinder. Ausführlichere Empfehlungen finden Sie hier: https://www.krebsinformationsdienst.de/vorbeugung/risiken/index.php. Nach Schätzungen des Deutschen Krebsforschungsinstituts, die mit unseren eigenen Berechnungen gut übereinstimmen, lassen sich durch die genannten Maßnahmen theoretisch knapp 40% der derzeit auftretenden Krebserkrankungen in Deutschland vermeiden. Theoretisch ist diese Zahl deshalb, weil sie nur unter idealen, also nicht realistischen Bedingungen zu erreichen wäre und weil man im Einzelfall in der Regel nicht entscheiden kann, ob die Erkrankung „vermeidbar“ gewesen wäre.
Was können die Menschen im Bereich Früherkennung selbst tun?
Dr. Kraywinkel: Wissenschaftlich gut belegt ist, dass die in Deutschland angebotenen Früherkennungsmaßnahmen für Darmkrebs und Gebärmutterhalskrebs das Erkrankungsrisiko senken, da sie in der Lage sind, nicht nur Tumoren in einem frühen Stadium, sondern auch Krebsvorstufen zu entdecken und einer Behandlung zuzuführen. Das in Deutschland relativ spät eingeführte Mammographiescreening-Programm zur Früherkennung von Brustkrebs (50-69 Jahre) hat wahrscheinlich dazu beigetragen, das die Rate an fortgeschrittenen Tumoren inzwischen gesunken ist und in den entsprechenden Altersgruppen die Häufigkeit operativer Entfernungen der Brust (Mastektomie) abgenommen hat, zu Gunsten schonender, brusterhaltender Operationsverfahren.
Im Einzelfall kann eine Untersuchung zur Krebsfrüherkennung auch mit Nachteilen verbunden sein, so können u.U. dabei Tumoren gefunden werden, die aufgrund ihres langsamen Wachstums nie Probleme gemacht hätten (Überdiagnose). Auch bietet keine Untersuchung absolute Sicherheit. Daher ist die Teilnahme eine individuelle Entscheidung, man sollte sich aber über die einzelnen Untersuchungen informieren (z.B. auf www.gesundheitsinformation.de oder www.krebsinformationsdienst.de) und sich ärztlich beraten lassen.
Die Publikation „Krebs in Deutschland“ erscheint alle zwei Jahre, zuletzt 2017. Die Ergebnisse der jetzt vorliegenden Ausgabe beruhen auf Daten bis zum Jahr 2014. Insgesamt werden für 27 unterschiedliche Krebsarten die wichtigsten epidemiologischen Maßzahlen und aktuellen Trends dargestellt. Enthalten sind Angaben zur Erkrankungshäufigkeit und Sterblichkeit, auch im regionalen und internationalen Vergleich, ebenso wie Darstellungen zur Verteilung der Tumorstadien und zu Überlebensaussichten.