- Das „richtige“ Zeitkontigent für Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen hängt nicht zuletzt vom individuelle Entwicklungsstand und Persönlichkeitsmerkmalen ab. Als grobe Richtlinie gilt: Bis 5 Jahre eine halbe Stunde Bildschirmzeit pro Tag, 6 bis 9 Jahre eine Stunde, und ab 9 Jahren können Eltern Wochen- und Tageskontingente vergeben und die Mediennutzung etwas flexibler handhaben. Hier gibt die Faustformel „Lebensalter x 10 Minuten pro Tag“ Orientierung.
- Wichtig sind aber auch die Inhalte: Für Kleinere sollten die Handlungen nicht mysteriös sein oder erschreckende Wendungen aufweisen. Gewalt sollte tabu sein – und Kinder dürfen auch nicht zum Geldausgeben animiert werden, wie es in manchen Unterhaltungsspiele-Apps auf Handy oder Tablet vorkommt.
- Weit oben auf der Liste der Bedrohungen steht aber das sogenannte Cybergrooming – die sexualisierte Ansprache von Minderjährigen etwa in Gaming-Chats oder auf Social-Media-Portalen. Hier brauchen Heranwachsende Strategien und Abwehrmechanismen, um solchen perfiden Machenschaften begegnen zu können. Und Eltern müssen dabei unterstützen – mit guter Balance zwischen Vertrauen und Kontrolle.
Mit Smartphone und Tablet können schon die Kleinsten intuitiv umgehen. Internet und Apps ziehen Kinder fast magisch an – sie vertreiben Langeweile, sind unterhaltsam und manchmal auch lehrreich. Viele Eltern sind aber unsicher: Wie viel Mediennutzung ist noch in Ordnung? Und wie schützt man Kinder vor den Gefahren des Internets?
In der neuesten Folge unseres Podcasts „MobilfunkTalk“ sprechen wir mit Dr. Iren Schulz, Medienpädagogin und Mediencoach der Initiative Schau hin! Die Initiative wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den beiden öffentlich-rechtlichen Sendern Das Erste und ZDF sowie der AOK getragen. In unserer Podcastfolge wollen wir näher beleuchten, wie Eltern die Medienkompetenz ihrer Kinder fördern können und wo die aktuellen Herausforderungen liegen.
Die Frage, die sich fast alle Eltern so oder ähnlich stellen, lautet: Gibt es eine generelle Empfehlung, welche Medien in welcher Menge in welchem Alter richtig sind? Dr. Iren Schulz erklärt, dass sich diese Frage nicht ganz so einfach beantworten lässt, weil Faktoren wie der individuelle Entwicklungsstand und die Persönlichkeitsmerkmale des Kindes eine wichtige Rolle spielen. Dennoch gibt es Faustregeln: Je jünger die Kinder sind, umso begrenzter sollte ihr Medienkonsum sein. Auch die Inhalte sollten bei jüngeren Kindern einfacher gehalten sein. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt als grobe Richtlinie: Bis 5 Jahre eine halbe Stunde Bildschirmzeit pro Tag, 6 bis 9 Jahre eine Stunde, und ab 9 Jahren können Eltern Wochen- und Tageskontingente vergeben und die Mediennutzung etwas flexibler handhaben. Hier gilt dann die Faustformel Lebensalter x 10 Minuten pro Tag, bei 12-jährigen also zum Beispiel 120 Minuten am Tag. Wichtig an Begrenzungen ist vor allem, dass die Eltern durchsetzen, diese auch einzuhalten. Technische Hilfsmittel wie einstellbare Zeitkontingente in Smartphones oder Internet-Routern seien dabei eine gute Unterstützung. „Wenn der Bildschirm schwarz wird, gibt es immer erst mal Riesengeschrei – aber die Kinder merken dann auch, wieviel Zeit sie etwa mit einem Spiel verbracht haben.“ Erzieherische Gespräche und auch die Vorbildfunktion von Eltern könne die Technik aber selbstverständlich nicht ersetzen.
Mindestens ebenso wichtig wie die Zeitempfehlungen sind aber auch die Inhalte: Gerade für Kleinere sollten die Handlungen nicht mysteriös sein oder erschreckende Wendungen aufweisen. Dass zudem Gewalt in den konsumierten Inhalten tabu ist, war schon immer klar. Hinzu kommt, dass Kinder auch nicht zum Geldausgeben animiert werden dürfen, wie es zum Beispiel in manchen Unterhaltungsspiele-Apps auf Handy oder Tablet der Fall ist. Wichtig ist überdies, dass Eltern ihre Kinder bei ihrer Mediennutzung begleiten – über Inhalte, die die Kinder bewegen, sollten Eltern und Kinder ausführlich sprechen.
Unterschätzte Interaktionsrisiken
Die weitaus größte Herausforderung sieht Dr. Iren Schulz aber in den sogenannten Interaktionsrisiken: „Wer kann mein Kind ansprechen?“ Das sogenannte Cybergrooming – die sexualisierte Ansprache von Minderjährigen etwa in Gaming-Chats oder auf Social-Media-Portalen – steht heute weit oben auf der Liste der Bedrohungen, mit denen sich Medienpädagogen beschäftigen. Das Ziel dieser perfiden Machenschaften ist, die Opfer in die Enge zu treiben und sie beispielsweise zu zwingen, Bilder freizugeben – bis dahin, sich zu treffen. Jedes fünfte Kind wurde mit solchen Ansprachen bereits konfrontiert – eine erschreckend hohe Zahl. Die Betroffenen haben hier oft schon eigene Abwehrmechanismen und Strategien entwickelt.
Dennoch zählt zu den heute wichtigen Erziehungsinhalten, zu vermitteln, dass solche Kontaktversuche ignoriert und blockiert werden müssen – mit guter Balance zwischen Vertrauen und Kontrolle, zwischen Möglichkeiten zur freien Entwicklung und dem Schaffen sicherer Pfade. Es gehe auch darum, den Kindern keine „Weltangst“ einzureden. Zumal es sich bei diesen Aspekten um die digitale Fortführung des lange bekannten Themas handle, dass Kinder sich nicht von Fremden zum Mitgehen überreden lassen dürfen. Letztlich empfiehlt Dr. Iren Schulz, dass Grundschulkinder gar nicht in Social-Media-Chats unterwegs sein und in Gaming-Chats nur für ihre eigenen Freunde ansprechbar sein sollten.
Wenn Probleme in Richtung Cybermobbing aus dem Kreis von Mitschülern oder Gleichaltrigen entstehen, sind gerade bei älteren Kindern die Eltern nicht mehr unbedingt die ersten Ansprechpartner. In diesem Zusammenhang verweist Frau Dr. Schulz auf Angebote wie jugendschutz.net, Juuuport oder „Nummer gegen Kummer“. Hier stehen zum Teil sogar speziell geschulte Gleichaltrige als erster Kontakt für die Sorgen von Kindern und Jugendlichen zur Verfügung – auch für anonyme Kontaktaufnahme. Hinzu kommen die Angebote von Schau hin! sowie viele weitere Programme und Initiativen in den einzelnen Bundesländern.
Auch Erwachsene haben Aufklärungsbedarf zur Medienkompetenz
Generell weist Dr. Schulz Eltern aber auch darauf hin, dass die Fragen zu Mediennutzungszeiten generell gern überbewertet werden. „Nur weil ein Kind mal mit großer Begeisterung ein Spiel spielt – so wie wir vielleicht mal nachts ein Buch durchgelesen haben –, heißt das noch nicht, dass es mediensüchtig ist.“ Demgegenüber würden Eltern andere Aspekte wie die angesprochenen Interaktionsrisiken in der Regel eher unterschätzen. Hinzu kommen weitere Problembereiche wie etwa die auf Social Media vermittelten Körperbilder, die bei Mädchen wie Jungen großen Druck und große Unsicherheiten auslösen können, oder Fake News. „Wissen Erwachsene und Jugendliche, was journalistische Qualitätskriterien sind? Was ist der Unterschied zwischen einer journalistischen Nachricht und einem zufälligen Mitfilmen irgendeines Ereignisses?“. Studien zeigten, dass dazu auch bei Erwachsenen eine Menge Aufklärungsbedarf bestehe.
Zur der aktuell viel diskutierten KI-Anwendung ChatGPT und ihren Auswirkungen auf Schulen und Hochschulen sagt Dr. Iren Schulz: „Es verändert sich etwas. Für unser behäbiges Bildungssystem wird es natürlich schwer, darauf zu reagieren. Doch Lernen und Lehren verändert sich durch digitale Medien ja schon lange. Und gleichzeitig hat sich auch verändert, welche Kompetenzen wir unseren Kindern für die Zukunft mitgeben wollen. Was brauchen Heranwachsende, um in unserer Gesellschaft gut zurechtzukommen? Das ist vielleicht nicht das reine Auswendiglernen und Wiedergeben von Wissen oder das Zusammenfassen von Büchern. Dafür gibt es in Zukunft KI. Viel wichtiger sind projektorientierte, selbststrukturierte, kritisch ethisch-reflexive Kompetenzen.“ Sich selbst ins Verhältnis zu Inhalten zu setzen, sie zu bewerten und in das eigene, persönliche Leben hereinzutragen, sich an individuellen Fragestellungen abzuarbeiten – das alles werde Künstliche Intelligenz nie können.