In dem Projekt VISION.5G wurde das Potenzial von Extended Reality (XR/Erweiterte Realität) Anwendungen im Bauwesen untersucht. XR-Anwendungen ermöglichen es Architekten, Bauleitern und Bauunternehmen ein Bauprojekt virtuell zu visualisieren und Anleitungen in Echtzeit zu erhalten. Gerade bei großen Bauvorhaben ist es wichtig, dass die relevanten Daten zur richtigen Zeit für die jeweiligen Beteiligten verfügbar sind. Die Annahme war, das XR-Zusammenarbeit die Kommunikation, Koordination und Entscheidungsfindung der Baufachleute untereinander verbessern kann. Ob und wie die erweiterte Realität funktioniert hat, wie die Akzeptanz in der Baubranche ist und welche Hindernisse noch zu überwinden sind, erläutert Urs Riedlinger, Wissenschaftler am Fraunhofer FIT.
Was wurde im Projekt VISION.5G genau untersucht und warum?
Das Projekt VISION.5G untersucht den Einsatz von 5G-Technologie in der Bauindustrie, insbesondere die mobile Bereitstellung komplexer digitaler 3D-Gebäudemodelle mittels Mixed Reality (MR)-Technologien. Ziel ist es, die Baufortschrittskontrolle, das Mängelmanagement und die öffentliche Kommunikation zu verbessern, indem reichhaltige Daten in Echtzeit zur Verfügung gestellt werden.
Können Sie erläutern, wie Technologien zur erweiterten Realität (XR) konkret in Bauprojekten eingesetzt werden?
XR-Technologien können in Bauprojekten zur Baufortschrittskontrolle, zum Mängelmanagement und zur Visualisierung von Bauvorhaben genutzt werden. Beispiele sind die Überlagerung digitaler Modelle mit der realen Baustelle zur Soll-Ist-Vergleichung und die Navigation auf Baustellen mittels Augmented Reality. Aber auch nicht nur in der Bauphase, sondern auch für den Betrieb – der den größeren Teil der Lebenszeit eines Gebäudes ausmacht – ergeben sich Vorteile, wenn der digitale Zwilling direkt vor Ort gepflegt und up-to-date gehalten werden kann.
Was sind die Vorteile von virtueller und erweiterter Realität in der Bauindustrie?
Virtuelle und erweiterte Realität (VR und AR) bieten der Bauindustrie zahlreiche Vorteile. Sie ermöglichen eine detaillierte und immersive Visualisierung von Bauprojekten, wodurch Fehler frühzeitig erkannt und behoben werden können. Die effiziente Planung und der interaktive Entwurf erleichtern die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen verschiedenen Stakeholdern und Teams, wodurch Missverständnisse reduziert werden. VR bietet zudem sichere Schulungsumgebungen, in denen Bauarbeiter zum Beispiel gefährliche Situationen üben können. Durch AR können digitale Informationen und Baupläne direkt auf die reale Baustelle projiziert werden, was die Präzision der Bauausführung erhöhen kann. Dies führt zu einer Kostensenkung und Zeitersparnis, da Probleme frühzeitig erkannt und behoben werden. Darüber hinaus fördern VR und AR nachhaltiges Bauen, indem sie die Planung umweltfreundlicher Bauweisen erleichtern. Insgesamt können VR und AR für die Bauindustrie, also Effizienz, Sicherheit und Qualität steigern.
Was waren die wichtigsten Erkenntnisse aus dem durchgeführten Forschungsprojekt?
Wichtige Erkenntnisse umfassen die effektive Nutzung von AR und 5G für das Mängelmanagement, die erfolgreiche Entwicklung eines Wegleitsystems für Baustellen und die Erprobung von Remote-Collaboration-Funktionen, die Experten virtuelle Unterstützung auf Baustellen ermöglichen. Die entwickelten Demonstratoren haben wir praxisnah auf einer realen Baustelle mit einer 5G-Standalone Abdeckung erprobt.
Welche konkreten Beispiele für die erfolgreiche XR-Nutzung können Sie nennen?
Beispiele sind die Baufortschrittskontrolle mittels 3D-BIM-Modelle und AR-Technologie, ein Wegleitsystem für Indoor-Baustellen und die Verwendung von AR für das Mängelmanagement, wodurch die Erfassung und Dokumentation von Mängeln verbessert wurde.
Welche technologischen Einschränkungen gibt es bei der Anwendung von XR?
Einschränkungen beinhalten die Notwendigkeit leistungsfähiger Hardware, die Komplexität der Datenverarbeitung und -darstellung sowie Herausforderungen bei der Integration und Implementierung von XR-Technologien in bestehende Bauprozesse.
Wie sehen Sie die Zukunft der XR-Kollaboration in der Bauindustrie?
Die Zukunft der XR-Kollaboration in der Bauindustrie sieht vielversprechend aus, mit zunehmender Integration von 5G, verbesserten XR-Technologien und deren breiterer Anwendung zur Steigerung von Effizienz und Qualität. Ich glaube, dass wir hier in Zukunft noch sehr viele neue Entwicklungen sehen werden. Natürlich nicht nur hinsichtlich der Echtzeit-Zusammenarbeit, sondern auch mit Blick auf die asynchrone Kommunikation. Hier sind insbesondere die Themen Metaverse und Datenräume, mit Initiativen wie GAIA-X von Bedeutung.
Welche Schritte sind notwendig, um die Akzeptanz und Anwendung von XR-Technologien zu fördern?
Notwendige Schritte umfassen Schulungen und Weiterbildungen, die Entwicklung benutzerfreundlicher Anwendungen, Investitionen in Infrastruktur und Technologie sowie die Förderung von Pilotprojekten und Forschung. Wichtig ist mir hier vor allem den menschzentrierten Ansatz zu erwähnen, den wir auch im Projekt VISION.5G, aber auch in anderen Forschungsprojekten konsequent verfolgen. Damit wird der Nutzer frühzeitig in die Softwareentwicklung mit einbezogen und die Software bedarfsgerecht für die jeweiligen Anforderungen entwickelt. Das trägt natürlich auch zur späten Akzeptanz bei. Trotzdem beobachte ich natürlich auch noch Hürden, gerade weil die Interaktion mit Geräten wie Smartglasses oft noch nicht intuitiv ist. Das ist auch ein Grund, warum wir in VISION.5G hauptsächlich Tablets für die vor-Ort Interaktion in AR gewählt haben.
Welche Vorteile sehen Sie für Bauunternehmen, die in XR-Technologien investieren?
Vorteile sind eine verbesserte Projektkontrolle, effizientere Bauprozesse, geringere Kosten durch frühzeitige Fehlererkennung und Mängelmanagement sowie eine verbesserte Kommunikation und Zusammenarbeit innerhalb von Teams. Außerdem werden natürlich auch Medienbrüche vermieden oder reduziert, was zur Effizienz beiträgt und Fehleranfälligkeit reduzieren kann.
Inwieweit hat die Einführung von 5G die Möglichkeiten der XR-Kollaboration verändert?
5G ermöglicht die schnelle und zuverlässige Übertragung großer Datenmengen, was die Nutzung von XR-Technologien in Echtzeit verbessert und somit die Effizienz und Qualität der Bauprozesse steigert. Außerdem erlaubt eine zuverlässigere Netzabdeckung auch die Nutzung von Online-Schnittstellen und den Zugriff auf Cloud-Anwendungen. Das ist sicher auch wichtig für zukünftige KI-Anwendungen – abgesehen von der Wichtigkeit für die Zukunftsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts.
Welche neuen Möglichkeiten eröffnen sich durch den Einsatz von 5G in Verbindung mit XR?
Neue Möglichkeiten umfassen die Echtzeit-Kollaboration und -Kommunikation, verbesserte mobile Anwendungen für Bauleiter und Arbeiter sowie die nahtlose Integration von komplexen 3D-Modellen und Bauplänen in die Baustellenpraxis. Insbesondere die Zusammenarbeit am oder im digitalen Modell in Echtzeit ist hier erwähnenswert. Auch in anderen Industriezweigen, wie z. B. für die Immobilienvermarktung ergeben sich neue Interaktionskanäle. Natürlich gibt es auch in komplett anderen Branchen, wie z. B. dem Maschinenbau mit Remote Maintenance starke Anwendungsfälle, die von 5G und XR profitieren können.
Was sind die wichtigsten Faktoren für die Benutzerfreundlichkeit von XR-Kollaborationswerkzeugen?
Wichtige Faktoren sind intuitive Benutzeroberflächen, einfache Bedienbarkeit, zuverlässige und schnelle Datenverarbeitung sowie die nahtlose Integration in bestehende Arbeitsabläufe und Systeme. Durchgängige, intuitive und durchdachte Bedienkonzepte sind meiner Meinung nach ebenso wichtig wie das Aufgreifen bekannter Bedienkonzepte, sofern ergonomisch.