Faktenbasierte Risikokommunikation

13. Februar 2023
Illustration von Fragezeichen und Ausrufezeichen

Die Strahlenschutzkommission (SSK) hat sich in einer Klausurtagung mit dem Thema „Faktenbasierte Risikokommunikation im gesellschaftlichen Diskurs“ beschäftigt. Die Frage, wie strahlenbedingte Risiken und die damit verbundenen Unsicherheiten am besten zu kommunizieren sind, ist nach wie vor aktuell. Insbesondere durch den Ausbau der 5G-Netze sind die Aspekte der Wahrnehmung, der Bewertung und der Kommunikation wieder in den Fokus gerückt. Wir haben mit Prof. Dr. Christoph Hoeschen, Mitglied der SSK und Professor am Institut für Medizintechnik in Magdeburg, über Wissenschafts- und Risikokommunikation gesprochen.

Die SSK hat sich intensiv mit dem Thema Risikokommunikation beschäftigt. Was waren die Gründe dafür? Inwiefern passt das zum Auftrag der SSK?

Die SSK berät die Bundesregierung und insbesondere das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz in allen Fragen des Strahlenschutzes für ionisierende und nichtionisierende Strahlung. Ein zentrales Thema, um den Schutz der Bevölkerung und der Umwelt, optimal zu gestalten ist es zu wissen, welche Risiken können denn überhaupt auftreten, wie kann ich diese und die Stärke und Art der auslösenden Strahlung bestimmen und wie genau kann ich das tun. Dann muss ich diese Risiken zusammen mit den möglichen Vorteilen oder Gegebenheiten der Bevölkerung kommunizieren, damit die Grundlagen der Entscheidungen verstanden werden können. Wir haben ja zum einen täglich mit Strahlung, die natürlich vorkommt z.B. in Lebensmitteln oder im Boden oder der Atmosphäre, zu tun. Außerdem wollen wir alle die Vorteile wie z.B. bei der mobilen Telekommunikation oder bei der medizinischen Diagnose oder Therapie nutzen. Wer verzichtet schon gern auf sein Handy oder will ggf. nicht wissen, ob sein Bein gebrochen ist oder nicht oder eine effiziente Behandlung seiner Krebserkrankung erfahren.

Das Thema liegt also wirklich im Kern der SSK Aufgaben.

Was sind die Grundlagen einer faktenbasieren Risikoermittlung – auch unter Berücksichtigung von Unsicherheiten?

Die wichtigste Grundlage einer faktenbasierten Risikoermittlung sind natürlich alle Fakten zunächst zusammenzusammeln. Dies bedeutet, man muss wissen, welche Evidenz gibt es, dass ein Faktor, in unserem Fall also irgendeine Art von Strahlung einen Schaden hervorruft oder hervorrufen kann. Dazu muss man so genannte epidemiologische Beobachtungen durchführen, bei denen man in großen Gruppen schaut, was ändert sich, wenn die eine Gruppe dem Faktor ausgesetzt war, die andere nicht. Zudem muss man möglichst gut die Biologie verstehen, um den Effekt, wenn möglich, erklären zu können. Hieraus kann man ein Model für das mögliche Auftreten eines Schadens, das Risiko, entwickeln.

Daneben muss ich dann die Fakten über die Art der Strahlung und die Stärke der Strahlung kennen. Es gibt noch etliche weitere Einflussfaktoren, die man berücksichtigen sollte, wie zum Beispiel andere Einflussfaktoren, die sich gegenseitig beeinflussen können oder den Zeitverlauf des Einwirkens etc. All diese Faktoren zu bestimmen ist nicht immer einfach, da ich zum Beispiel schlecht in einem Menschen messen kann, nicht weiß, wann und der Mensch sich wo aufgehalten hat usw.

Wie gelingt es, noch vorhandene Unsicherheiten in der Kommunikation zu berücksichtigen?

Wie gerade angedeutet, gibt es bei der Bestimmung der Fakten, die ich für die Risikoermittlung benötige, sehr viele Unsicherheiten, sowohl bei der Modellentwicklung als auch bei der Bestimmung der möglichen Risikofaktoren. Dazu kommen noch die eigentlichen Messunsicherheiten bei den eigentlichen Messungen. Dies sollte man natürlich in der Kommunikation berücksichtigen. Im allgemeinen ist es immer sinnvoll für die Kommunikation dieser Risikoabschätzungen oder Risikoermittlungen mit Beispielen und Vergleichen zu arbeiten und ggf. auch einen persönlichen Bezug herzustellen. Ich halte es für sehr wichtig, die Unsicherheiten auch zu benennen und die Grenzen unseres Wissens und Messens, gleichzeitig aber auch klare Aussagen zu treffen. Wir wissen bis heute nicht sicher, ob z.B. eine zusätzliche Untersuchung im Computertomographen die Wahrscheinlichkeit im Verlauf des Lebens eine Krebserkrankung zu entwickeln von ca. 45 % (natürliche Wahrscheinlichkeit an Krebs zu erkranken) überhaupt ansteigt und falls ja auf 45,05% oder 45,1%. Gleichzeitig kann der Arzt abschätzen, wie große die Gefahr einer ernsthaften Gesundheitsgefahr ohne diese Aufnahme ist. Es gibt rechtliche Vorgaben, dass der Arzt den Nutzen und das Risiko abwägen muss. Wenn mir also mein Arzt empfiehlt eine Untersuchung durchführen zu lassen, dann würde ich dem auch folgen. Wichtig ist dabei natürlich, dass alles getan wird, das Risiko so gering wie möglich zu halten. Ich muss also offen mit den Risiken umgehen, aber auch die Unklarheiten klar benennen.

Wie kann die Brücke zwischen Expertenbewertung und der subjektiven Bewertung in der Bevölkerung geschlagen werden?

Zum einen ist es sehr wichtig, dass die Experten versuchen, eine Sprache zu verwenden, die von der Bevölkerung verstanden werden kann, ohne dass man dabei zu ungenau wird. Dann ist es wichtig, auch mitzuteilen, wo die Grenzen des Wissens sind, was man also nicht oder nicht genau weiß. Die Ängste und Befürchtungen der Bevölkerung müssen ernst genommen werden. Und dann sollte man wie bereits erwähnt die persönliche Komponente einbringen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt wäre es sicherlich auch für die Bevölkerung das Expertenwissen erfahrbar zu machen. In diesem Bereich gibt es auch gerade im Zusammenhang zum Beispiel mit der ionisierenden Strahlung sehr gute Beispiele, bei denen neben dem Bürgerdialog den interessierten Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben wird im Rahmen der so genannten Citizen Science selber sich an Messungen zu beteiligen.

Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff „false balance“ (falsche Ausgewogenheit)?

Unter „false balance“ wird in dem hier betrachteten Zusammenhang verstanden, wenn bei Diskussionsrunden oder ähnlichen Formaten der Versuch allen beteiligten Diskutanden den gleichen Raum einzuräumen dazu führt, dass eben nicht die Fakten zum zentralen Aspekt werden, sondern Annahmen, Befürchtungen und Ängste. Dann kann eine seriöse Risikokommunikation nicht gelingen, weil die Fakten meist trockener wirken und eine faktenbasierte Klarstellung Zeit braucht und langweilig oder abgehoben wirkt. Es ist also wichtig, dass der Austausch von Meinungen sich an die Darstellung der Fakten anschließt, dies bedeutet dann zumindest meistens aber, dass den Experten mehr zeitlicher Rahmen eingeräumt werden muss als den anderen Diskussionsteilnehmern. Geschieht dies nicht, ist eine „false balance“ unausweichlich.

Welche Erfolgsfaktoren tragen zum Gelingen von Kommunikation im wissenschaftlichen Umfeld bei?
  • Klare und präzise Kommunikation
  • Klare Aussagen, möglichst vorab erarbeitet
  • Zielgruppenspezifische Ansprache und Sprache
  • Deutliche Darstellung des Wissens und der Limitierungen und Unsicherheiten (dies sollte im wissenschaftlichen Umfeld heute gängig sein) und des Nichtwissens
Wo liegen die Herausforderungen?

Wenn man über sein eigenes Thema berichtet, ist die erste Herausforderung sicher, dass man seine Expertensprache verwendet. Dann besteht sicher die Gefahr, die Ängste und Empfindungen der Bevölkerung nicht ernst zu nehmen oder anderslautende Positionen als nicht wissenschaftlich belegt oder belegbar anzunehmen und so am Gesprächspartner vorbei zu reden. Gleichzeitig besteht die Gefahr, zu ausschweifend oder detailliert Dinge darzustellen, was potenziell das Verstehen erschweren kann, andererseits darf man auch nicht zu ungenau werden.

Die Gefahr „abgehoben“ zu wirken, ist schnell gegeben.

Wird man insbesondere im Laufe eines Gesprächs ggf. ohne Vorankündigung zu Themen am Rande des eigenen Wissensgebiets gefragt, besteht aus dem Gefühl heraus, immer noch mehr zu wissen als andere in der Diskussion, die Möglichkeit sich zu verrennen. Das schadet dem Eindruck und damit auch der Aussagekraft der anderen gemachten Aussagen.

Welche Ziele sollte die Risikokommunikation verfolgen?

Risikokommunikation muss dem Kommunikationsadressaten klare Aussagen zum möglichen Risiko anbieten. Das Risiko muss dargestellt werden im Vergleich zum erwarteten Vorteil. Die Unsicherheiten bei der Bestimmung des Risikos (und der erwarteten Vorteile) müssen klar benannt werden. Ängste und Befürchtungen müssen ernst genommen werden. Sinnvollerweise werden Vergleiche zur Einordnung von Risiken eingesetzt und persönliche Aspekte der Experten mit einbezogen.

Damit soll erreicht werden, dass

  • Risiken wahrgenommen werden
  • In einen Zusammenhang gestellt werden können
  • Verglichen werden können mit alltäglichen Risiken
  • Realistische Anforderungen an Schutzmaßnahmen ergriffen werden können (im Strahlenschutz gibt es dazu das schöne Prinzip „a slow as reasonable achievable“ – „ so wenig, wie angemessen möglich ist“
  • Vertrauen zwischen Expert:innen und der Bevölkerung entsteht oder besteht
  • Unnötige Ängste vermieden werden können.
Wie wichtig ist die zielgruppenspezifische Ansprache?

Aus meiner Sicht ist die zielgruppenspezifische Ansprache extrem wichtig, um die Ziele zu erreichen. Dies ist jedoch nicht immer trivial, denn eine korrekte Darstellung eines Sachverhalts ist ebenfalls zentral und beides zu vereinen oft eine große Kunst.

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