2021 haben die deutschen Mobilfunkanbieter die dritte Mobilfunkgeneration, 3G oder auch UMTS genannt, erfolgreich abgeschaltet. Die damit frei gewordenen Frequenzen haben sie den moderneren und effizienteren Mobilfunkstandards 4G/LTE und 5G zugewiesen. Da könnte die Überlegung aufkommen, ob es nicht auch sinnvoll wäre, den noch älteren Mobilfunkstandard 2G- oder GSM ebenfalls abzuschalten. Während andere Länder diesen Weg tatsächlich schon beschritten haben – das am nächsten liegende Beispiel ist die Schweiz –, betonen die deutschen Mobilfunk-Netzbetreiber jedoch unisono, auf absehbare Zeit an GSM festhalten zu wollen. Was steckt hinter dieser Entscheidung?
GSM-Netze gibt es in Deutschland seit 1991 – seit dem Start der ersten „D-Netze“. Der technische Standard selbst wurde bereits ein Jahr früher verabschiedet. Hinter dem Kürzel GSM steckte zunächst der Name der für die Standardisierung zuständigen Untergruppe des Normungsgremiums CEPT (Confederation of European Posts and Telecommunications), die „Groupe Spéciale Mobile“. Als dieser Standard über Europa hinaus weltweite Bedeutung erlangte, wurde die französische Bezeichnung später ins englische „Global System for Mobile Communications“ umgetauft – und die hinter dem Standard stehenden Mobilfunkanbieter sowie Hersteller von GSM-Netzinfrastruktur und Endgeräten schlossen sich zur „GSM Association“ (GSMA) zusammen.
Der Zeitpunkt des Marktstarts und auch die englische Bedeutung des Kürzels geben bereits Hinweise darauf, warum GSM heute noch längst nicht ausgedient hat: GSM war nicht nur der erste digitale, sondern gleichzeitig auch der erste wirklich internationale Mobilfunkstandard. Wenn es auch kleinere Abweichungen bei der Frequenznutzung gibt, funktioniert er in einer großen Anzahl von Ländern – zu Spitzenzeiten waren es über 200 Nationen weltweit. Die Wahrscheinlichkeit ist auch heute immer noch recht hoch, bei Aufenthalt im Ausland per 2G zumindest eine Basis-Netzanbindung zu erhalten – mit telefonischer Erreichbarkeit, dem Kurznachrichtendienst SMS und mittlerweile auch Basis-Internet-Anbindung wenigstens per „EDGE“. Letzteres steht für „Enhanced Data Rates for GSM Evolution“ – einen GSM-basierten Datenmodus, der sich allerdings schon bei typischerweise 200 kbit/s erschöpft.
Diese „Notversorgung“ greift vor allem in solchen Fällen, wenn der Kontakt zu 4G oder 5G an abweichenden Frequenzbereichen oder noch nicht geschlossenen Roaming-Verträgen zwischen dem heimischen Anbieter und dem Betreiber vor Ort scheitert. Diesen „Service“, von dem ja auch deutsche Nutzer im Ausland profitieren wollen, wollen deutsche Anbieter auch wiederum ihrerseits Besuchern aus aller Welt bieten.
Vom Roaming abgesehen sprechen aber auch noch weitere Argumente dafür, 2G-Mobilfunk auf längere Sicht weiter anzubieten. Beispielsweise der Aspekt Netzversorgung: An Orten, wo 4G und 5G nicht oder nicht in ausreichender Kapazität ausgebaut sind, ist häufig zumindest 2G zu empfangen – und somit die oben beschriebene Basisversorgung, die zumindest grundsätzliche Erreichbarkeit gewährleistet.
Hohe Zahl älterer Geräte verlässt sich auf GSM
Ein sehr wichtiges Argument dafür, an GSM noch festzuhalten, sind zudem ältere Endgeräte. Prinzipiell funkt im 2G-Netz jedes digitale Mobiltelefon, das seit 1991 hierzulande verkauft wurde. Solche Geräte dienen nicht selten noch als Not- oder Ersatztelefon. Gerade Kunden, die keinen großen Bedarf an Datendiensten haben und deshalb nie auf ein Smartphone oder ein LTE-taugliches Mobiltelefon umgestiegen sind, sichert das GSM-Netz Erreichbarkeit und Kommunikationsfähigkeit.
Dies betrifft im Übrigen längst nicht nur Uralt-Handys, die „zur Sicherheit“ in Schubladen vor sich hin stauben oder – hoffentlich aufgeladen – im einen oder anderen Wanderrucksack als Versicherung für einen Notfall stecken. Seit der eingangs erwähnten UMTS-Abschaltung dient 2G auch für „PDA-Phones“ und frühe Smartphones aus der UMTS-Generation als Rückfall-Netz, damit diese Geräte überhaupt noch eine Verbindung finden.
Hinzu kommen weitere wichtige Anwendungsbereiche, in denen die derzeit vorhandene Mobilfunkausstattung längst nicht so einfach zu ersetzen ist wie ein Alt-Handy durch den Neukauf eines günstigen aktuellen Geräts. So fahren etwa noch zigtausende Autos aus Baujahren zwischen etwa 1996 und etwa 2016 auf deutschen Straßen, die zwar über Notruf- und Telematikfunktionen verfügen – jedoch nur auf Basis von 2G und bestenfalls 3G. Ohne 2G-Netz wären sie alle schlagartig „offline“, ohne dass ihre Fahrer eine sinnvolle und bezahlbare Option hätten, die weggefallene Funktionalität auf 4G- oder 5G-Mobilfunk aufzurüsten. Ähnliches gilt auch für eine große Anzahl fest eingebauter oder portabler, vernetzter Navigationsgeräte, die über das Mobilfunknetz insbesondere Verkehrsinfos empfangen.
Nicht zu vergessen sind auch gar nicht wenige frühe „IoT-Anwendungen“ – etwa per Mobilfunk vernetzte Sensoren und Aktoren in Strom-, Wasser- und Gasnetzen, oder andere vernetzte Systeme von der Wetter-Meldestation bis hin zur Anzeigetafel an der Straßenbahnhaltestelle. Sie alle von der in ihnen verbauten 2G-Technik auf modernere 4G/5G-Anbindung umzustellen, wäre eine Mammutaufgabe, die hohe Investitionen, viel Arbeitskraft und jede Menge Arbeitszeit binden würde. Und dennoch kann man dabei fast sicher davon ausgehen, dass die eine oder andere per GSM realisierte Datenanbindung erst nach einer Abschaltung der entsprechenden Netze überhaupt auffallen würde – um dann zu mehr oder weniger lästigen bis hin zu folgenschweren Ausfällen zu führen.
Es gibt also eine Reihe guter Gründe, die sicherlich veraltete, aber in vielen Bereichen auch bewährte GSM-Technik noch einige Zeit beizubehalten. Diese Entscheidung mag nicht die konsequenteste und fortschrittsfreudigste Art sein, mit der Weiterentwicklung der Mobilfunktechnik umzugehen – aber aus den genannten Gründen ist sie dennoch auf absehbare Zeit pragmatisch und sinnvoll.