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Interview zum Thema Elektrosensibilität

6. November 2019

Die Wissenschaft beschäftigt sich seit langem mit dem Phänomen der Elektrosensibilität. Fazit der wissenschaftlichen Studien ist, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen elektromagnetischen Feldern und den Beschwerden elektrosensibler Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist. Wir wollten von der Umweltmedizinerin Prof. Dr. med. Caroline Herr wissen, wie der aktuelle Forschungsstand zum Bereich der Elektrosensibilität ist. Prof. Herr ist Präsidentin der Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Präventivmedizin und beim Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) als Fachärztin für Hygiene und Umweltmedizin tätig.

 

Welchen beruflichen Bezug haben Sie zum Thema Elektrosensibilität und was ist das eigentlich?

Elektrosensibilität wird seitens des Umweltbundesamtes als eine subjektiv empfundene besondere Empfindlichkeit gegenüber niederfrequenten und hochfrequenten elektromagnetischen Feldern definiert. Diese Felder werden von den Personen, die sich selbst als elektrosensibel bezeichnen, als Ursache für verschiedene Befindlichkeitsstörungen wie Kopfschmerzen, Schlafstörung, Konzentrationsschwäche, Müdigkeit, Schwindelgefühl oder Haut-Probleme gesehen.

Der berufliche Bezug zum Thema Elektrosensibilität ist bei mir u.a.in meiner Funktion als Leitung des Sachgebiets Arbeits- und Umwelt bezogener Gesundheitsschutz am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit gegeben, als Präsidentin der Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Präventivmedizin sowie als Vorsitzende der Kommission Umweltmedizin und Environmental Public Health am Robert Koch-Institut (RKI).

 

Wie viele Menschen gibt es in Deutschland, die sich selbst als elektrosensibel bezeichnen?

In einer Studie des Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramm (Ulmer, S., Bruse, M.: Ergänzende Informationen über Elektrosensible) wurde eine Telefonbefragung mit 2.406 Personen durchgeführt. Dort wurde eine Prävalenz selbstdefinierter „Elektrosensibler“ von 1,1 % gefunden.

Da jedoch keine systematischen Erhebungen vorliegen, ist aktuell unklar wie viele Menschen es in Deutschland gibt, die sich als elektrosensibel bezeichnen. Auch Krankenkassendaten können hier nicht weiterhelfen, da in der aktuellen internationalen Krankheitsklassifikation (ICD-10-GM-2019) Elektrosensibilität nicht als Einzeldiagnose mit kausalem Bezug zu elektromagnetischen Feldern vorkommt.

 

Wie kann Elektrosensibilität erforscht werden? Mit welchen Methoden arbeiten die Wissenschaftler?

Im Rahmen des Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms wurden bislang unterschiedlichste Methoden wie z. B. Provokationsexperimente genutzt, um zu prüfen ob Personen, die sich selbst als elektrosensibel bezeichnen, eine im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erheblich gesteigerte Empfindlichkeit aufweisen. Bei Provokationsexperimenten handelt es sich um Versuchsanordnungen, die z. B. in Form einer Fall-Kontrollstudie erfolgen können, bei der mittels verschiedener Untersuchungen (z. B. transcraniale Magnetstimulation) Reaktionen auf bestimmte Reize getestet werden. Dabei werden Reaktionen von Personen, die sich selbst als elektrosensibel bezeichnen, mit Kontrollen verglichen. Bislang konnten noch keine Kriterien gefunden werden, die die objektive Identifizierung „Elektrosensibler“ ermöglichen.

 

Was ist der wissenschaftliche Erkenntnisstand zum Thema Elektrosensibilität? Welche Studien gab es? Mit welchen Ergebnissen?

Im Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramm wurden von 2002 bis 2008 54 Forschungsvorhaben aus den Bereichen „Biologie“, „Dosimetrie“, „Epidemiologie“ und „Risikokommunikation“ durchgeführt (http://www.bfs.de/DE/bfs/wissenschaft-forschung/ergebnisse/dmf/dmf_node.html). Auch das Thema Elektrosensibilität wurde in diesen Studien aufgegriffen. Weitere Informationen finden sich auf den Internetseiten des Bundeamts für Strahlenschutz (www.bfs.de) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Existenz einer Elektrosensibilität aktuell nicht wissenschaftlich belegt ist. Auch die WHO sieht keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Elektrosensibilität und elektromagnetischen Feldern.

An dieser Stelle würde ich gerne noch auf das am LGL durchgeführte Projekt VESES hinweisen. Ziel des Projektes war es, herauszufinden, wie sich die Versorgung von Personen, die sich selbst als elektrosensibel bezeichnen, in Bayern gestaltet, sowie welche Möglichkeiten es zur Aus- und Weiterbildung im Bereich der Umweltmedizin gibt. Im Rahmen der Befragungen zeigte sich, dass von einem Großteil der Befragten generell ein Engpass in der Versorgung von umweltmedizinischen Patienten befürchtet wird. Aktuell besteht in nur einigen Bundesländern die Möglichkeit die Zusatzbezeichnung „Umweltmedizin“ zu erwerben, daneben besteht lediglich die Möglichkeit sich im Rahmen der Facharztausbildung für Hygiene und Umweltmedizin in diesem Bereich zu qualifizieren.

 

Gibt es weiteren Forschungsbedarf?

Forschung im Bereich der Elektrosensibilität müsste auf jeden Fall andere Konzepte als bisherige Studien zugrundlegen, beispielsweise die detaillierte Erfassung der Reizverarbeitung im zentralen Nervensystem unter der Berücksichtigung der Antizipation, d. h. der Erwartung eines zukünftigen Verhaltens. Nicht vergessen werden darf dabei jedoch, dass z. B. vermehrte Aus-und Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich der Umweltmedizin sowie eine Stärkung der universitären umweltmedizinischen Ambulanzen notwendig ist, um die Versorgung von Personen, die sich selbst als elektrosensibel bezeichnen, zu gewährleisten.

 

Was raten Sie betroffenen Menschen?

Elektrosensible Menschen können sich zur weiteren Abklärung ihrer Beschwerden an niedergelassene Ärzte mit umweltmedizinscher Spezialisierung oder auch an umweltmedizinischen Ambulanzen (z. B. an den Unikliniken) wenden.

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